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Wirtschaft
Landwirtschaft
Das Parlament begann im Herbst mit den Beratungen über die Agrarpolitik 2014-2017. – Das Referendum gegen das revidierte Tierseuchengesetz scheiterte an der Urne. – Die Turbulenzen um den kürzlich liberalisierten Milchmarkt beschäftigten die Branchenvertreter und das Parlament. – Sowohl das revidierte Tierschutzgesetz als auch das Bundesgesetz über den Verkehr mit Tieren und Pflanzen geschützter Arten wurden vom Parlament angenommen. – Eine Volksinitiative zum Schutz von Grossraubtieren wie Luchs, Bär und Wolf wurde bei der Staatskanzlei eingereicht.
Agrarpolitik
Der Ständerat akzeptierte im Berichtsjahr eine Motion seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK), welche die Aufnahme der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Soziales und Ökologie – in das Gesetz über Landwirtschaft bis spätestens zur Agrarvorlage 2018-2021 verlangt. Genauer soll festgeschrieben werden, dass der Bund diejenigen Betriebe finanziell unterstützt, die sich in allen drei Bereichen engagieren. Bis zur nächsten Neuauflage der Agrarpolitik hat der Bundesrat auch den Auftrag, die Parameter zur Bewertung von Nachhaltigkeit anzupassen [1].
Der Nationalrat nahm mit 85 zu 76 Stimmen ein Postulat Graf (gp, BL) an. Damit wird der Bundesrat beauftragt, in einem Konzept die zukünftige Rolle der ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft zu konkretisieren. Insbesondere soll die gezielte Förderung von bestehenden Biobetrieben und umsteigewilligen Landwirten ins Auge gefasst werden, da trotz den seit 2004 steigenden Bioumsätzen die inländische Produktion der Nachfrage hinterher hinkt und so ein Teil der Wertschöpfung ins Ausland verloren geht [2].
In der Frühjahrssession überwies der Nationalrat ein Postulat von Siebenthal (svp, BE), das die Überprüfung und Anpassung der Berechnungsfaktoren für eine Standardarbeitskraft (SAK) im Hügel- und Berggebiet verlangt. Dieses Mass ist ausschlaggebend für die Auszahlung von Direktzahlungen und sollte im Rahmen der Agrarpolitik 2014 bis 2017 an den technischen Fortschritt angepasst werden. Laut von Siebenthal würden durch diese Neuerung 1400 Betriebe ihre Bezugsberechtigung und mindestens ebenso viele ihren Status als landwirtschaftliches Gewerbe verlieren, da sie durch ihren Standort mit erschwerten Bedingungen wie Hanglagen, Wasserläufen oder längeren Zufahrtswegen zu kämpfen hätten. Der Einbezug solcher Umstände in die Berechnung der SAK sei unerlässlich, um den Fortbestand dieser Betriebe zu sichern. Der Bundesrat erklärte sich bereit, diese Faktoren im Rahmen der Ausführungsbestimmungen zur Agrarpolitik 2014 bis 2017 zu überprüfen. Eine Standesinitiative des Kanton Berns, welche sich ebenfalls für eine andere Berechnung der SAK einsetzt – jedoch mit Schwerpunkt auf Direktvermarktung, Agrotourismus und Buchhaltung – wurde von den Räten noch nicht behandelt [3].
Im Frühling beschloss der Nationalrat, die Frist der parlamentarischen Initiative Bourgeois (fdp, FR) um zwei Jahre zu verlängern, welche sich für eine Ernährungssouveränität in der Schweiz auf Grundlage von qualitativ hochwertiger, nachhaltiger und diversifizierter einheimischer Produktion einsetzt. Einen Antrag seiner WAK, die Initiative abzuschreiben, lehnte die grosse Kammer im Herbst mit einer Rechts-Mitte-Mehrheit von 82 zu 72 Stimmen ab. In ihrem Antrag hatte die Kommission geltend gemacht, dass die Forderung im Rahmen des Erlassentwurfs zur Agrarpolitik 2014-2017 im Landwirtschaftsgesetz verankert worden sei. Der Motionär entgegnete, dass die Debatten darüber noch nicht abgeschlossen seien und dass es deshalb angemessen sei, die Initiative noch nicht abzuschreiben [4].
Die grosse Kammer beauftragte mit einem Postulat Bourgeois (fdp, FR) den Bundesrat, die Produktionskosten der Schweizer Landwirtschaft zu untersuchen und mögliche Massnahmen zur Kostensenkung zu ermitteln. Momentan entsprächen die Kosten in der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung ungefähr dem Produktionswert des Agrarsektors. Um diese Bilanz zu verbessern, solle der Bund die Landwirtschaftsbetriebe mit stimulierenden Instrumenten zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung motivieren, etwa durch eine stärkere Modulation der Investitionshilfen und durch Unterstützung von Pilotprojekten [5].
Die beiden Räte überwiesen eine Motion Sommaruga (sp, GE). Der Urheber beantragte, dass sich der Bundesrat im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen an dem gegenwärtig stattfindenden Prozess zur besseren Anerkennung der Rechte von Bäuerinnen und Bauern sowie von weiteren Personen, die in einem landwirtschaftlichen Milieu arbeiten, beteiligt. Vornehmlich soll er die Ausarbeitung eines neuen völkerrechtlichen Instruments zu diesem Zweck unterstützen [6].
Ende Oktober publizierte das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) den Agrarbericht 2012. Daraus geht hervor, dass das landwirtschaftliche Einkommen 2011 im Durchschnitt pro Betrieb gegenüber dem Vorjahreswert um 7,8% auf CHF 59 474 gestiegen ist. Zusammen mit einer leichten Zunahme des ausserlandwirtschaftlichen Einkommens (+1,6%) ergibt sich daraus eine durchschnittliche Zunahme des Gesamteinkommens um 5,8%. Auch im Aussenhandel ist eine positive Entwicklung zu verzeichnen: Während die landwirtschaftlichen Importe wertmässig leicht zurückgingen auf CHF 11,4 Mia., konnten sich die Exporte auf dem Vorjahresniveau halten (CHF 7,8 Mia.). Die Aussenhandelsbilanz schliesst damit mit einem historisch tiefen Importüberschuss von CHF 3,6 Mia. ab. Die Handelsanteile, welche in die EU exportiert bzw. aus ihr importiert werden, blieben mit 61 respektive 74% relativ stabil. Strukturell ist weiterhin ein personeller Rückgang im Landwirtschaftssektor zu verzeichnen: Mit insgesamt 164 067 Beschäftigten arbeiteten 2011 2% weniger auf diesem Gebiet als noch im Vorjahr. Eine erstmals seit 10 Jahren wieder durchgeführte repräsentative Umfrage zur Situation von Frauen in der Schweizer Landwirtschaft ergab, dass Bäuerinnen mit ihrer Lebenssituation grundsätzlich sehr zufrieden sind. Beinahe die Hälfte von ihnen geht inzwischen einer ausserbetrieblichen Erwerbstätigkeit nach, um zusätzliches Einkommen für die Familie zu generieren. Dass sich viele verheiratete Frauen trotz fehlender sozialer Absicherung aufgrund ihres Status als Nichterwerbstätige und entgegen der mangelnden Gleichstellung hinsichtlich des Hofbesitzes relativ wenig Sorgen machen, wertete das BLW als Hinweis dafür, dass auf diesen Gebieten noch Aufklärungsarbeit zu leisten sei. Die jährlich durchgeführte Univox-Umfrage ergab, dass die Landwirtschaft in der Bevölkerung immer noch grossen Rückhalt geniesst. Auch die Direktzahlungen, welche sich 2011 auf CHF 2,8 Mia. beliefen, wurden von zwei Dritteln der Befragten befürwortet [7].
Eine von der WAK-SR als Reaktion auf die Ergebnisse des Agrarberichts verfasste Motion wurde in der Wintersession vom Ständerat angenommen. Sie verlangt vom Bundesrat, für die ökonomische, soziale und rechtliche Absicherung der in der Landwirtschaft tätigen Frauen zu sorgen. Dazu gehört u.a. die geschlechterspezifische Erfassung von Daten zur bäuerlichen Erwerbstätigkeit. Bis zur nächsten Agrarvorlage 2018-2021 soll dem Parlament hierzu ein Bericht vorgelegt werden [8].
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Nach dem letztjährigen Vernehmlassungsverfahren veröffentlichte der Bundesrat im Frühjahr seine Botschaft zur Agrarpolitik 2014 bis 2017. Da die Kernpunkte der Revision, welche eine Weiterentwicklung des Direktzahlungssystems vorsahen, von den Befragten zwar gutgeheissen worden waren, Verbesserungsvorschläge jedoch teilweise in diametral entgegengesetzte Richtungen gezeigt hatten, entschloss sich der Bundesrat einzig zu moderaten Änderungen der Vernehmlassungsvorlage. Er versuchte dabei, zusätzliche Faktoren einzubauen, welche die Revision für die Schweizer Bäuerinnen und Bauern verträglicher machen würde. Nebst der Revision des Landwirtschaftsgesetzes (LwG) umfasste die Agrarpolitik einen Entwurf zum Budgetrahmen für die Landwirtschaft von 2014 bis 2017 sowie diverse Änderungen in anderen Gesetzen, wie etwa dem Zolltarifgesetz oder dem Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (vgl. unten). Dass die Vorlage umstritten sein würde, zeigte sich bereits im Vorfeld der Ratsdebatten: Die Diskussionen in den vorberatenden Kommissionen zogen sich insgesamt bis zu 24 Stunden hin, diverse Parlamentsmitglieder beklagten sich zudem über intensives Lobbying von Seiten des Bauernverbandes und anderer Interessengruppen.
Während der Eintretensdebatte des Nationalrates in der Herbstsession signalisierten alle Fraktionssprecher ihr grundsätzliches Einverständnis mit der Stossrichtung der Vorlage, welche Fehlentwicklungen der letzten Jahre zu korrigieren versuche und die schweizerische Landwirtschaft nachhaltiger und ökologischer ausgestalten wolle. Einzige Ausnahme war die SVP-Fraktion, die ihre Ablehnung mit je einem Nichteintretens- und einem Rückweisungsantrag kundtat: Die Nahrungsmittelproduktion, welche ihrer Meinung nach die Hauptaufgabe der Landwirtschaft sei, werde mit der Gesetzesvorlage zugunsten von mehr Ökologie an den Rand gedrängt. Durch eine fortschreitende Extensivierung der Schweizer Produktion steige die Abhängigkeit vom Ausland, was nicht zuletzt beim Thema der Futtermittelimporte bereits heute oft kritisiert werde. Auch eine Öffnung der Märkte gegen aussen würde mit der neuen Agrarpolitik ins Visier genommen. Die beiden Anträge wurden von der grossen Kammer deutlich abgelehnt: Einzig die SVP-Fraktion und beim Rückweisungsantrag zusätzlich je ein CVP- und ein BDP-Parlamentarier stellten sich dahinter. In der kleinen Kammer, welche sich in der Wintersession mit der Vorlage befasste, war das Eintreten unbestritten.
Die Detailberatungen von Erst- und Zweitrat erstreckten sich im Rest des Berichtsjahres über sechs bzw. vier Sitzungen und zeichneten sich durch zeitweise hitzige Diskussionen aus. Auffällig war, dass sich die Nationalräte Aebi (svp, BE) und Ritter (cvp, SG) besonders oft mit Wortmeldungen und Minderheitsanträgen exponierten; die Medienberichterstattung führte dies auf deren Kandidaturen für das zu dieser Zeit ausgeschriebene Präsidium des Bauernverbandes zurück (vgl. unten, Teil IIIb). Im Besonderen bestimmten die gesetzlichen Grundlagen für Milchmarkt, der Import von Fleisch und lebenden Pferden sowie Bestimmungen zu den Direktzahlungen die inhaltliche Erörterung. Betreffend Milchmarkt setzte sich im Nationalrat eine Minderheit Rösti (svp, BE) durch, die das Obligatorium für Milchkaufverträge aufrechterhalten wollte. Demnach dürften ProduzentInnen ihre Milch jeweils nur an einen Vertragspartner verkaufen, die Verträge würden zudem auf die Mindestdauer von einem Jahr ausgelegt und sollten Regelungen zu Mengen, der Preisfestsetzung und den Zahlungsmodalitäten enthalten. Die Verträge müssten einem staatlichen Verwaltungsorgan gemeldet werden, und Verstösse würden vom Bundesrat mit Sanktionen geahndet. Der Ständerat widersetzte sich dieser Entscheidung, weil die Milchwirtschaft dadurch wesentliche marktwirtschaftliche Attribute wieder verlieren würde, die sie mit der Aufhebung der Milchkontingentierung 2009 erst kürzlich erhalten hatte. Er kehrte deswegen zum Vorschlag des Bundesrates zurück: Die Branche solle selbst einen Standardvertrag organisieren, der auf Begehren der Branchenorganisation vom Bundesrat für verbindlich erklärt werden könne. Wenn im Sektor keine Einigung über einen Vertrag erzielt werde, habe der Bundesrat die Kompetenz, vorübergehende Vorschriften über Kauf und Verkauf von Rohmilch zu erlassen. Als Nächstes sprachen sich beide Räte für eine Kontingentierung des Pferdeimports aus. Nach einem Vorschlag der ständerätlichen Minderheit Seydoux (cvp, JU) sollen die Kontingente zu 50% aufgrund der Käufe von in der Schweiz gezüchteten Pferde verteilt werden: Damit sollen die einheimische Pferdezucht und insbesondere die Freiberger Pferde aus dem Jura, welche zu dem Zeitpunkt die noch einzige ursprüngliche Schweizer Rasse waren, geschützt werden. Auch der Import von Fleisch wurde restringiert: Nachdem eine Minderheit Hassler (bdp, GR) im Nationalrat mit 87 zu 90 Stimmen äusserst knapp gescheitert war, nahm die ständerätliche Kommission den Vorschlag wieder auf und verlangte, dass 40% der Zollkontingentsanteile von Rinder-, Schaf-, Ziegen- und Pferdefleisch nach der Zahl von in der Schweiz geschlachteten Tieren zugeteilt werden soll. Die ständerätliche Ratslinke und Bundesrat Schneider-Ammann argumentierten vergeblich dagegen, dass eine solche Einschränkung des freien Marktes nicht wie beabsichtigt die kleinen und mittleren Metzgereien fördern, sondern den fünf grössten Schlachtbetrieben der Schweiz, welche damals bereits 70% der Rindergattung schlachteten, eine noch grössere Macht verschaffen würde. In der Abstimmung setzte sich die Kommission schliesslich mit 21 zu 15 Stimmen durch. Im Kernbereich der Beratungen, der Umgestaltung des Direktzahlungssystems, befassten sich die Räte zuerst mit den Bedingungen, welche zum Bezug von staatlicher Unterstützung berechtigen. Der Ständerat beschloss dabei, dass Direktzahlungen nicht mehr für bewirtschaftete Flächen ausgezahlt werden sollen, welche nach Inkrafttreten dieser Gesetzgebung in eine Bauzone umgewandelt werden. Es handelte sich dabei um einen Kompromissvorschlag zwischen den Anliegen des Bundes- und des Nationalrats, welche Beiträge für sich in Bauzonen befindende Flächen vollständig bzw. überhaupt nicht streichen wollten. Mit der Fassung des Ständerats sollten einerseits Kulturlandflächen gegen zu grosszügige Neueinzonungen geschützt, andererseits aber solche Bäuerinnen und Bauern nicht bestraft werden, die zurzeit noch nicht bebaute Flächen bewirtschaften und pflegen. Bei der Neuausrichtung der Direktzahlungen selbst wurde im Nationalrat die Einführung des Instruments „Landschaftsqualitätsbeiträge“ intensiv diskutiert: Die Gegner kritisierten, dass die Landwirte damit für Leistungen abgegolten werden sollten, welche erstens von diesen seit Jahrzehnten freiwillig erbracht und zweitens nicht objektiv beurteilt werden könnten: So seien die Ausschmückung des Hofs mit Geranien, eine mit Kopfstein gepflasterte Strasse oder die Einrichtung einer Feuerstelle keine unterstützenswerten Massnahmen. Der Bundesrat und die Befürworter erklärten daraufhin, dass diese Beiträge auf spezifische, traditionelle Bewirtschaftungsarten wie etwa Wytweiden im Jura oder Wässermatten im Oberaargau abzielten, deren Fortbestand nicht zuletzt auch für die Schweiz als Tourismusmagnet von grosser Wichtigkeit seien. Die SVP, jeweils eine knappe Mehrheit der FDP und der BDP sowie ein Drittel der CVP sprachen sich in der Abstimmung der grossen Kammer gegen diese Art von Beiträgen aus, unterlagen jedoch mit 85 zu 98 Stimmen. Im Ständerat fiel die Annahme der Beiträge mit 30 zu 9 Stimmen deutlicher aus. Die radikalste Änderung nahmen die beiden Kammern mit der Streichung der Tierbeiträge vor: Die Auszahlung pro Tier bzw. Grossvieheinheit habe falsche Anreize gesetzt und zu Überproduktion, tiefen Preisen im Milchsektor, steigenden Kraftfutterimporten und zu erhöhter Umweltbelastung geführt. Stattdessen werden deshalb sogenannte „Versorgungssicherheitsbeiträge“ eingeführt: Dabei handelt es sich um flächenbezogene Zahlungen, die eine sichere Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln garantieren sollen. Sie setzen sich zusammen aus einem Basisbeitrag je Hektare und einem zusätzlichen abgestuften Beitrag in Bezug auf geografische und klimatische Erschwernisse. Bei Grünflächen muss ausserdem ein Mindesttierbesatz erreicht werden. Die SVP und Teile der CVP, FDP und BDP stellten sich dagegen und brachten im Nationalrat einen Minderheitsantrag Aebi (svp, BE) ein, der mit einer Erhöhung des Basisbeitrags je nach Tierbesatz die Tierbeiträge zumindest teilweise beibehalten wollte. Dieser Vorschlag wurde auch ausserhalb der Ratsdiskussion stark propagiert, war aber in der Abstimmung mit 100 zu 80 Stimmen chancenlos. Auch im Ständerat waren die neuen Beiträge umstritten und wurden mit Minderheitsanträgen sowie einem Alternativvorschlag der Kommissionsmehrheit bekämpft. Die Version des Bundesrats setzte sich schliesslich dennoch durch, was hauptsächlich den Ständeräten Freitag (fdp, GL) und Baumann (cvp, UR) zu verdanken war: Als in der ständerätlichen Kommission klar geworden war, dass die Versorgungssicherheitsbeiträge so nicht akzeptiert würden, arbeiteten die beiden bürgerlichen Ständeräte zwei Einzelanträge zur Anpassung der Übergangsbeiträge aus. Diese befristeten Zahlungen sollen einen für die Landwirte sozialverträglichen Systemwechsel ermöglichen. Nachdem Ständerat Freitag seinen Antrag zugunsten des anderen zurückgezogen hatte, akzeptierten die Ratsmitglieder den Antrag Baumann, laut welchem die Übergangsbeiträge acht Jahre lang ausgerichtet werden und bis 2017 um nicht mehr als 10% pro Jahr zurückgestuft werden dürfen. Damit wurde diejenige Neuerung, gegen welche sich der Schweizerische Bauernverband (SBV) am heftigsten gestemmt hatte, bereits im Berichtsjahr von den Räten definitiv in das revidierte Gesetz aufgenommen. Auch die Verlängerung des Moratoriums für gentechnisch veränderte Organismen wurde von den Räten im Rahmen der Agrarpolitik beschlossen. Sie nahmen damit das Anliegen einer Motion Ritter (cvp, SG) auf, die sich auf die Ergebnisse des nationalen Forschungsprojekts (NFP 59) gestützt hatte: Der Einsatz von dem zurzeit verfügbaren gentechnisch veränderten Saatgut erbringe keine wirtschaftlichen Vorteile für die Schweizer Landwirte, deswegen sei eine Fortführung des Moratoriums gerechtfertigt. Die Frist soll neu bis Dezember 2017 gelten. Trotz ausgedehnten Diskussionen im Nationalrat konnte die FDP, welche die Aufhebung bzw. eine Verkürzung der Frist zusammen mit Minderheiten der CVP, BDP und SVP unterstützt hatte, die übrigen Ratskolleginnen und -kollegen nicht überzeugen.
Am Ende der Wintersession 2012 war damit bereits klar, dass das Hauptziel des Bundesrats, mit der neuen Agrarpolitik eine Änderung des Direktzahlungssystems vorzunehmen, erreicht werden würde. In der auf 2013 angesetzten Differenzbereinigung werden sich die eidgenössischen Räte erneut mit der Situation des Milchmarkts, der Importrestriktion für Fleisch sowie diversen kleineren Uneinigkeiten auseinandersetzen müssen.
Über die finanziellen Mittel, die der Landwirtschaft in den Jahren 2014 bis 2017 zukommen sollen, konnten sich die Kammern im Berichtsjahr noch nicht einigen. Nach längeren Diskussionen beschloss der Nationalrat in einer äusserst knappen Abstimmung, dass das Budget im Bereich der Grundlagenverbesserungs- und Sozialmassnahmen um CHF 160 Mio. erhöht werden solle. Der Bundesrat, welchem die grüne, die grünliberale, die sozialdemokratische Fraktion sowie eine Mehrheit der Liberalen gefolgt waren, warnte vergeblich davor, dass eine Budgeterhöhung nicht mit den Vorgaben der Schuldenbremse vereinbar sei. Auch bei der Abstimmung zur Ausgabenbremse – welche sonst in beiden Räten ausnahmslos einstimmig gelöst worden war – und bei der Gesamtabstimmung über den Beschluss zu den finanziellen Mitteln demonstrierten SP und GLP ihre Ablehnung, was jedoch folgenlos blieb. Im Ständerat endete die Gegenüberstellung des Kommissionsantrages auf Folgeleistung des nationalrätlichen Entscheids und eines Minderheitsantrages Fetz (sp, BS), der auf der ursprünglichen Budgetierung beharrte, in einem Patt. Der Ratspräsident äusserte sich im Stichentscheid zugunsten der Minderheit. Somit werden diese, als auch die oben erwähnten Meinungsverschiedenheiten zwischen National- und Ständerat, 2013 in der Differenzbereinigung zur Agrarpolitik 2014 bis 2017 nochmalig thematisiert werden [9].
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Von den drei im Vorjahr vom Nationalrat angenommenen Motionen Darbellay (cvp, VS), Joder (svp, BE) und Favre (fdp, NE) über einen Abbruch der Agrarfreihandels-Verhandlungen mit der EU nahm der Ständerat nach ausgedehnten Diskussionen einzig die erste mit 26 zu 16 Stimmen an. Diese verlangt im Detail, dass der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU solange unterbricht, als dass die Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) nicht zu einem Abschluss kommt. Der Motionär hatte postuliert, dass die Verhandlungen mit der EU im Hinblick auf einen baldigen Abschluss derselben aufgenommen worden seien. Da ein Ende der Doha-Runde in weite Ferne gerückt sei, wäre ein Abkommen, das bereits jetzt den Grenzschutz abbaut und die Produzentenpreise unter Druck setzt, unnötig und für die Schweizer Landwirtschaft schädlich. Eine Motion der WAK-SR, welche sozusagen als Gegenvorschlag zu den drei Motionen ausgearbeitet worden war, wurde vom Nationalrat in der Herbstsession mit 85 zu 77 Stimmen eliminiert: Die Kommission hätte eine Standortbestimmung des Bundesrates über die EU-Verhandlungen und ein Aufzeigen von Alternativen zum bisherigen Verhandlungsansatz verlangt, mit dem Ziel einer schrittweisen und kontrollierten Einführung des Agrar- und Lebensmittelfreihandels mit der EU. Die SVP hatte sich geschlossen gegen die Motion gestellt, zusammen mit Mehrheiten aus der grünen, der christlich-demokratischen und der bürgerlich-demokratischen Fraktion [10].
Der Nationalrat befasste sich ebenfalls mit der Thematik des Agrarfreihandels: Er folgte einer Minderheit seiner vorberatenden Kommission und nahm eine Standesinitiative des Kantons Waadt an, welche den sofortigen Abbruch der Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein Freihandelsabkommen im Agrar- und Lebensmittelbereich verlangt. Die Antwort des Ständerats stand am Ende des Berichtsjahres noch aus [11].
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Das Anliegen einer im Nationalrat angenommenen Motion Gschwind (cvp, JU) wurde im Rahmen der Agrarpolitik 2014 bis 2017 im Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB) verankert: Der Geltungsbereich des Gesetzes wird demnach künftig auf kleine Grundstücke im Beizugsgebiet einer Landumlegung ausgedehnt, bis der neue Besitzstand im Grundbuch verankert ist. Dadurch soll den Bewirtschafterinnen und Bewirtschaftern die Durchführung von Landumlegungen, welche zu erhöhter Effizienz und geringeren Produktionskosten führen, erleichtert werden. Die WAK-SR empfahl Ende des Berichtsjahrs, diese Bestimmung BGBB anzunehmen und die damit erfüllte Motion entsprechend abzulehnen [12].
Der Nationalrat reichte eine parlamentarische Initiative Favre (fdp, NE) an die kleine Kammer weiter, welche eine Umteilung von bestockten Weiden (sog. „Wytweiden“) von der Wald- in die Landwirtschaftszone verlangt. Dadurch soll erreicht werden, dass diese bereits heute oft für die Viehhaltung benutzten Gebiete hauptsächlich von den Bäuerinnen und Bauern, die oft zugleich die Besitzer des Landes sind, gepflegt und unterhalten werden, und nicht wie bis anhin von den Forstdiensten. So könnten auch der Waldausdehnung in Berggebieten teilweise Einhalt geboten und landwirtschaftliche Nutzflächen besser geschützt werden [13].
Die grosse Kammer überwies eine Motion von Siebenthal (svp, BE) an den Ständerat. Diese verlangt vom Bundesrat die Schaffung von Rahmenbedingungen, welche die Wiederherstellung und Erhaltung von durch Verwaldung und Verbuschung dezimierten Landwirtschaftsflächen ermöglicht. Laut dem Antragsteller hat die Schweizerische Waldfläche in den vergangenen elf Jahren um 12 000 ha zugenommen, was mit einem Verlust von landwirtschaftlichen Flächen einhergehe. Dadurch gingen nicht nur landwirtschaftliche Einkommensmöglichkeiten in Randgebieten verloren, sondern auch wertvolle Zonen für die Förderung von Biodiversität und die für die Schweiz charakteristische und touristisch attraktive Vielfalt der Landschaft. Die zuständige Kommission der kleinen Kammer beantragte im November ebenfalls die Annahme der Motion [14].
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Einkommenssicherung
Laut der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon verdienten die Bauern 2011 wieder mehr Geld, als sie es in den letzten zehn Jahren getan hatten: Besonders Getreide-Anbauer konnten von der Einkommenssteigerung profitieren. Pro Familienarbeitskraft stieg der Jahreslohn im Vergleich zum Vorjahr um 11,1% auf CHF 43 500, die Nebeneinkommen lagen im Durchschnitt bei CHF 26 700 [15].
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Die im vorigen Jahr vom Ständerat angenommene Motion Jenny (svp, GL), welche die Kürzung oder vollumfängliche Verweigerung der Direktzahlungsbeiträge im Falle einer Verletzung von Gewässerschutz-, Umweltschutz- oder Tierschutzbestimmungen verlangte, wurde dieses Jahr vom Nationalrat abgelehnt. Der Rat ist damit seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben gefolgt, die es aufgrund von Überlegungen der Verhältnismässigkeit bei der bestehenden Gesetzgebung belassen wollte: Danach sind nur Streichungen von jenen Direktzahlungsanteilen zulässig, welche in direktem Zusammenhang mit dem fehlbaren Verhalten stehen [16].
Eine Motion von Siebenthal (svp, BE), welche verlangt, dass die Kantone Direktzahlungen an Bauern künftig in Form von Akontozahlungen auch mehr als zweimal pro Jahr überweisen können, wurde vom Nationalrat angenommen. So sollen Liquiditätsprobleme vor allem in kleineren und mittleren Betrieben vermieden werden. Neben vereinzelten Parlamentariern aus unterschiedlichen Parteien hatten sich die grünliberale Fraktion und eine Mehrheit der Liberalen gegen die Annahme der Motion gestellt. Die Beratung in der kleinen Kammer stand im Berichtsjahr noch aus [17].
Eine Standesinitiative des Kantons Bern, welche den Bund ersuchte, auf die Streichung der landwirtschaftlichen Direktzahlungen in den Bereichen "Biolandbau", "Tierhaltung unter erschwerten Produktionsbedingungen", "Raufutter verzehrende Grossvieheinheiten" und "Extensoflächen" zu verzichten, war Ende Berichtsjahr noch hängig. Die vorberatende Kommission des Ständerats empfahl jedoch die Ablehnung, da das Anliegen mit der Neuausgestaltung der Direktzahlungen im Rahmen der Agrarpolitik 2014 bis 2017 bereits erfüllt sei [18].
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Tierische Produktion
Ein Postulat Gschwind (cvp, JU) wurde im Berichtsjahr vom Nationalrat überwiesen. Der Bundesrat wird mit der Durchführung einer ausführlichen vergleichenden Studie über die Preisunterschiede von Tierarzneimitteln in der Schweiz und benachbarten Ländern wie Deutschland, Österreich oder Frankreich beauftragt. Eine kurze, nicht repräsentative Studie des Preisüberwachers legte bereits den Verdacht nahe, dass Veterinärmedizin in der Schweiz teurer ist als im Ausland. Damit der Bundesrat Massnahmen einleiten kann, müssen diese Ergebnisse jedoch zuerst bestätigt werden [19].
Der Nationalrat überwies ein Postulat Hassler (bdp, BE). Der Bundesrat solle überprüfen, ob die Grossvieheinheit (GVE) bei Mutterkühen analog zu gemolkenen Kühen von 0,8 auf 1 gesetzt werden sollte. Die GVE wirkt sich direkt auf tierbezogene Beiträge an die Landwirte aus. Da Mutterkühe punkto Pflege und Futter die gleichen Kosten verursachen wie gemolkene Kühe und zudem durch die Produktion von Kalbfleisch ebenfalls zur Ernährung der Bevölkerung beitragen, sei eine Gleichbehandlung im Rahmen des GVE-Ansatzes gerechtfertigt [20].
Nachdem im Winter 2011/2012 beinahe 50% aller Bienenvölker in der Schweiz verendet waren, rief der Bundesrat im Sommer einen nationalen Bienengesundheitsdienst ins Leben. Dessen Aufgaben werden die Beratung der Imker und Vereine im korrekten Umgang mit Arznei- und anderen Hilfsmitteln, die Unterstützung kantonaler Vollzugsbehörden und die Überwachung der Gesundheit der Bienen sein. Verantwortlich für das massive Bienensterben war laut der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux nebst Wetterbedingungen der vorangegangenen Saison hauptsächlich die Varroa-Milbe: Es handelt sich hierbei um einen ursprünglich aus Asien stammenden Parasiten, der zurzeit weltweit grosse Schäden anrichtet und bei Imkern zu beträchtlichen wirtschaftlichen Einbussen führt [21].
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Auch das vorliegende Berichtsjahr zeichnete sich durch starke Spannungen auf dem Milchmarkt aus. An der Delegiertenversammlung der Branchenorganisation Milch (BOM) im Frühling wurde die im vorigen Jahr eingeführte Abgabe auf Milch zum Abbau des Butterbergs wieder abgeschafft. Die Massnahme war auf passiven Widerstand gestossen: Einzelne Verteilorganisationen hatten sich geweigert, die zur Abgabenberechnung benötigten Daten zu publizieren, was die Ausführung faktisch verunmöglichte. Experten befürchteten, dass der Butterberg nun wieder ansteigen und der Milchpreis weiter unter Druck geraten werde. Tatsächlich sank der Preis pro Kilo Milch im Mai auf 58,11 Rappen, was dem tiefsten Wert seit Beginn der Preisbeobachtung 1999 durch das BLW entspricht. Für den tiefen Preis wurden hauptsächlich zwei Gründe angeführt: Erstens hätten nach Aufhebung der Milchkontingentierung zu viele Bauern ihr Heil in einer Mehrproduktion gesucht und so den Markt buchstäblich mit Milch überschwemmt. Zweitens funktioniere das Selbstregulierungssystem der Branchenorganisation nur bedingt: Da die 2009 eingeführte Segmentierung von Milch in drei Preisklassen nicht auf der Qualität der gehandelten Milch, sondern allein auf deren Verwendungszweck beruhe, bestünden für Händler und Weiterverarbeiter grosse Anreize zum Missbrauch. Dadurch würden die Bauern zu den Hauptleidtragenden. Aus Protest gegen dieses „Milchpreis-Dumping“ drohte die Organisation Schweizer Milchproduzenten (SMP) im November mit einem Austritt aus der BOM. Um dies zu verhindern, wurde beschlossen, dass ein Kontrollsystem zur Unterbindung jener Betrügereien errichtet werden soll. Der SMP wurde ausserdem ein dritter Vorstandssitz gewährt [22].
Im Rahmen der Delegiertenversammlung im November erklärte der BOM-Präsident und alt-Nationalrat Markus Zemp, dass der Butterberg mit Hilfe des Marktentlastungsfonds von 10 000 auf 2 000 t reduziert werden konnte. Die Milchschwemme sei zudem nicht mehr so dramatisch, weil die Milcheinlieferungen seit Juni kontinuierlich gesunken seien. Zemp machte hauptsächlich den heissen Sommer sowie das teure Kraftfutter dafür verantwortlich und hoffte, dass sich der Milchpreis nun bald erholen werde [23].
Der Nationalrat bekräftigte mit Annahme der Motion Büttiker (fdp, SO) in der Frühlingssession, dass die Milchproduktion in der Schweiz grundsätzlich an die betriebseigenen Raufutterflächen gebunden werden soll. Damit sollen die Anreize für eine Überproduktion und die damit verbundenen Importe von Kraftfutter eingedämmt werden. Eine Mitte-Rechts-Minderheit, welche in der Abstimmung immerhin 40% des Rates hinter sich zu scharen vermochte, hatte zu Bedenken gegeben, dass bereits heute der Grossteil der Milchproduktion auf Raufutter basiere und dass Markenprogramme existierten, welche die KonsumentInnen auf Produkte aus solcher Produktion hinweisen würden. Weder diese Argumente noch der Hinweis auf den zusätzlichen administrativen Aufwand für die Landwirte vermochte die Räte umzustimmen. Das Anliegen fand in Form der Versorgungssicherheitsbeiträge auch Eingang in die Revision des Agrargesetzes (vgl. oben) [24].
Die grosse Kammer überreichte im Mai eine Motion Bourgeois (fdp, FR) an den Ständerat, welche die Exekutive zur Stärkung und Ausweitung der im Gesetz festgeschriebenen Milchverträge auffordert. Die 2009 gegründete Branchenorganisation Milch (BOM) sei mit ihren derzeitigen Instrumenten nicht in der Lage, den Markt im Gleichgewicht zu halten und die grösstmögliche Wertschöpfung für Milch zu gewährleisten. Die Verträge zwischen Produzenten und Abnehmer müssten deswegen mit Mindeststandards bezüglich Vertragsdauer, Milchmenge und Art der Preisfestsetzung versehen werden. Des Weiteren solle ein Mindestanteil von Milch, welche den höchsten Qualitätskriterien der BOM entspricht, in den Verträgen festgelegt werden, um Preisstabilität und gerechte Bedingungen für die Vertragspartner zu garantieren. Bei der Abstimmung garantierten die geschlossenen BDP- und SVP-Fraktionen sowie Mehrheiten der FDP und CVP die Annahme der Motion mit 93 zu 68 Stimmen [25].
Die grosse Kammer überwies ein Postulat Bourgeois (fdp, FR) im Zusammenhang mit der für 2015 beschlossenen Aufhebung der Milchkontingentierung in der EU. Der Bundesrat wurde beauftragt, einen Bericht zu verfassen, in dem er die Entwicklung der zukünftigen europäischen Milchproduktion und der dadurch beeinflussten Handelsbeziehungen mit der Schweiz einschätzt, Risiken und Chancen für die einheimische Branche auflistet und mögliche Massnahmen zur Sicherung oder gar zum Ausbau der Schweizer Marktanteile darstellt [26].
Mit der Annahme einer Motion seiner WAK bestätigte der Nationalrat, dass er einen Bericht des Bundesrats über die Folgen einer möglichen sektoriellen Marktöffnung für Milchprodukte hin zur EU wünscht. Darin sollen Einschätzungen über die Vereinbarkeit einer solchen Öffnung mit den bilateralen Abkommen und Darstellungen hierzu notwendiger interner Marktstützungs- und Begleitmassnahmen enthalten sein. Schliesslich soll auch die Beurteilung der Milchbranche in den Bericht einfliessen. Die SVP-Fraktion hatte sich in der Abstimmung geschlossen gegen die Motion gestellt, zusammen mit einer Mehrheit der BDP und beinahe der Hälfte der Christdemokraten. Dank dem geschlossenen Abstimmen von Grünen, SP und Grünliberalen sowie einer Mehrheit der FDP und der anderen Hälfte der CVP fand sich aber eine Mehrheit für das Anliegen [27].
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Die beiden Kammern beschäftigten sich im Berichtsjahr mit zwei Standesinitiativen der Kantone Jura und Waadt, welche den Betrieb eines Nationalgestütes durch den Bund gesetzlich verankern wollten. Beide wurden von den behandelnden Räten unter Verweis auf die Motion Bieri (cvp, ZG) abgelehnt, dank welcher dieses Ansinnen bereits 2011 im Landwirtschaftsgesetz verankert worden sei. Die Initiative des Kantons Jura wurde damit endgültig abgeschrieben, während diejenige des Waadts am Ende des Berichtsjahres noch auf Antwort aus dem Nationalrat wartete [28].
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Im Berichtsjahr wurden die Diskussionen über das revidierte Tierseuchengesetz (TSG) fortgeführt. Der Ständerat als Zweitrat änderte in der Frühlingssession den Entwurf dahingehend, dass der Bund sich nicht an den Kosten der Tierseuchenbekämpfung beteiligen, sondern diese den Kantonen überlassen solle. Da bereits die Projektplanung und -leitung, die Überwachung als auch Forschungsarbeiten zu dieser Thematik durch den Bund finanziert würden, sei es an den Kantonen, für Laborkosten, Probeentnahmen, Tierarztkosten und dergleichen aufzukommen. Zwei Drittel der kleinen Kammer stellten sich hinter diesen Beschluss. Ferner wurde entschieden, dass die Kompetenzen des Bundesamtes für Veterinärwesen (BVET) im Falle einer akuten Bedrohung erweitert werden: So soll es nicht nur vorübergehend den Tierverkehr oder die Freilandhaltung sowie Märkte, Tierversteigerungen o.Ä. verbieten dürfen, sondern auch Ställe, Weiden und Ortschaften für den Tierverkehr absperren, Desinfektionen vornehmen oder den Personen- und Warenverkehr einschränken können. Die für diesen Artikel obligatorische Ausgabenbremse wurde einstimmig gelöst. Ein Antrag Schmid (fdp, GR), der die Kantone explizit in die Entscheidungsfindung über zeitlich begrenzte Abgabenerhebungen zur Bekämpfung von Tierseuchen einbinden wollte, wurde abgelehnt. Nachdem der Nationalrat in der Differenzbereinigung die vorgenommenen Abänderungen ausnahmslos akzeptiert hatte, wurde das revidierte Gesetz in den Schlussabstimmungen im Ständerat einstimmig und im Nationalrat mit 192 zu 1 Stimme angenommen [29].
Gegen das TSG wurde das Referendum ergriffen. Die Gegner, die sich um den Naturheiler Daniel Trappitsch formierten, konzentrierten ihre Abstimmungskampagne hauptsächlich auf die Bekämpfung der staatlichen Kompetenz, Impfzwänge zu verhängen. Dies war insofern speziell, als dass die Revision sich gar nicht mit dieser Thematik beschäftigt hatte. Die Referendumsgegner beriefen sich jedoch auf das 2008 verhängte Impfobligatorium gegen die Blauzungenkrankheit, welches bei vielen Kühen zu entzündeten Eutern und Verwerfungen geführt habe. Die Parteien stellten sich mit Ausnahme der SVP nach wie vor geschlossen hinter die Revision. Die Parlamentsfraktion der SVP hatte sich in der Schlussabstimmung noch einstimmig dafür ausgesprochen. Bei der nationalen Delegiertenversammlung wurden die Parteileitung und Hansjörg Walter, der damalige Präsident des SBV, jedoch deutlich überstimmt, was besonders für eine agrarpolitische Vorlage aussergewöhnlich war: Die Gegner hatten die Mehrheit der Basis mit dem Argument des bei der SVP verpönten Machtzuwachses des Bundes und dem Hinweis auf den angeblich grossen finanziellen Aufwand nationaler Präventionsprogramme zu überzeugen vermocht [30].
Bei der Abstimmung am 25. November war die Stimmbeteiligung mit 26,9% so tief wie seit 1972 nicht mehr. Die im Anschluss an den Urnengang durchgeführte Vox-Analyse fand als möglichen Grund dafür die geringe persönliche Betroffenheit: Über 60% der Stimmberechtigten gaben an, dass sie das TSG für unwichtig erachteten, und beinahe 70% derjenigen, die sich an der Abstimmung beteiligt hatten, taten dies, weil sie prinzipiell keine Abstimmung auslassen. Das Referendum wurde mit 68,3% deutlich abgelehnt, und auch die Stände sprachen sich mit Ausnahme der Kantone Uri und Appenzell Innerrhoden einhellig für die Revision aus. SP-, CVP- und FDP-AnhängerInnen folgten grossmehrheitlich den Empfehlungen ihrer Parteien. Die SVP-SympathisantInnen waren hingegen wie bereits die Basis bei der Delegiertenversammlung gespalten: Mit 56% entschied sich eine knappe Mehrheit, die Vorlage abzulehnen. Entscheidend für die Abstimmungshaltung war allerdings die Meinung zu staatlich verordneten Impfobligatorien: Die 76% der ImpfgegnerInnen, welche die Revision ablehnten und die 87% der ImpfbefürworterInnen, die sie annahmen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die Referendumskampagne die Diskussion erfolgreich auf dieses eigentlich vorlagenfremde Thema konzentrieren konnte. Bei der Frage nach dem Inhalt der Abstimmung gaben denn auch 19% an, dass es um das Impfobligatorium gegangen sei, während bemerkenswerte 16% antworteten, sie wüssten nicht, worüber sie abgestimmt hatten [31].
Änderung des Tierseuchengesetzes
Abstimmung vom 25. November 2012

Beteiligung: 26,9%
Ja: 946 200 (68,3%) / 19 5/2 Stände
Nein: 439 589 (31,7%) / 1 1/2 Stände

Parolen:
Ja: FDP, CVP, SP, EVP, CSP, GPS (1*), GLP, BDP; SBV, SGB.
Nein: SVP (7*), EDU; VKMB, Bio Suisse, Uniterre.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
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Pflanzliche Produktion
Die grosse Kammer nahm ein Postulat Moser (glp, ZH) an, welches sich mit Pestiziden befasste. Der Bundesrat solle die Wirksamkeit sowie die allfällige Form eines Aktionsplans zur Risikominimierung und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln überprüfen. Pestizide seien zwar ein wesentlicher Faktor bei der Gewährleistung des schweizerischen Selbstversorgungsgrades, müssten aber wegen ihrer negativen Auswirkungen auf Bienen, Gewässer und Bodenorganismen wie auch auf den Menschen in ihrer Anwendung streng kontrolliert werden [32].
Ein Postulat Graf (gps, BL), das die Überprüfung von zusätzlichen Fördermassnahmen für die inländische Saatgutproduktion verlangt, wurde vom Nationalrat überwiesen. Die inländische Saatgutproduktion sei ein wesentlicher Bestandteil der Schweizer Ernährungssouveränität, die es weiter auszubauen gelte. Zudem leiste insbesondere die biologische Saatgutzüchtung dank der Generierung von robusten Pflanzen einen Beitrag zur zukünftigen Ernährungssicherheit und Klimaverträglichkeit. In einem letzten Punkt verlangte die Antragstellende, dass Methoden zur langfristigen Sicherstellung von gentechfreiem Saatgut erarbeitet werden [33].
Der Dachverband Schweizer Knospe-Betriebe (Bio Suisse) konstatierte Anfang April erstmals seit 2004 wieder eine Zunahme an biologisch produzierenden Betrieben. Damit ist jeder zehnte Hof in der Schweiz inzwischen ein Bio-Hof, und von der landwirtschaftlichen Fläche werden 11% biologisch bestellt. Auch der Bio-Markt ist gewachsen: Im Lebensmittelbereich nimmt er inzwischen 6% Marktanteil ein [34].
Der Branchenverband Wein erhöhte im Berichtsjahr die Erntebeschränkungen für Weinreben, um einen weiteren Preiszerfall zu verhindern. Die einheimischen Winzer sahen sich aus verschiedenen Gründen unter Druck gesetzt: Der Konsum von Schweizer Wein war im vorigen Jahr um 6% gesunken, während die Produktion dank guten Witterungsbedingungen um 8% angestiegen war. Dies sorgte für volle Lager. Die Winzer konnten den produzierten Rebensaft nur mit Mühe verkaufen und mussten ihn gezwungenermassen oft als Tafelwein absetzen. Der Import von ausländischen Weinen ist ausserdem seit einigen Jahren kontinuierlich angestiegen, und durch den starken Schweizerfranken wurde auch der Privatimport in grenznahen Gebieten angekurbelt. Die Branche verlangte deshalb vom Bundesrat unterstützende Massnahmen, unter anderem mit einer noch nicht behandelten Motion Freysinger (svp, VS), welche die Zollkontingente künftig nach Massgabe der Inlandleistung verteilt haben will [35].
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Ende August präsentierten Wissenschaftler in Bern die Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms 59 über Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen (GVP). In der Auswertung der insgesamt 30 Forschungsprojekte kamen sie zum Schluss, dass GVP nach derzeitigem Wissensstand weder der menschlichen Gesundheit noch der Umwelt, genauer gesagt Insekten, Mikroorganismen oder Boden, schaden würden. Qualitativ sei kaum ein Unterschied zu konventionell gezüchteten Pflanzen zu bemerken, ausserdem würde die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft durch die niedrigere Umweltbelastung dieser Pflanzen und durch eine Senkung der Produktionskosten gestärkt. Allerdings wäre die Trennung der GVP von normalen Pflanzen mit Isolationsabständen zwischen Feldern, der Reinigung landwirtschaftlicher Maschinen und der Trennung der Warenflüsse sehr kostenintensiv, was die Rentabilität des GVP-Anbaus wiederum senke [36].
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Lebensmittel
Eine Standesinitiative des Kantons Freiburg, die den Import von Palmöl verbieten will, das schweizerischen Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien nicht entspricht, wurde im Berichtsjahr vom Ständerat abgelehnt. Als Begründung ihrer Ablehnung hatte die behandelnde Kommission angeführt, dass ein solches Verbot möglicherweise nicht WTO-konform sei und die Handelsbeziehungen zu Indonesien, einem der weltweit grössten Palmöl-Exporteure, dadurch gefährdet werden könnten. Stattdessen solle man sich an die Motion de Buman (cvp, FR) halten, welche generell die umweltschädliche Palmölproduktion auf internationaler Ebene bekämpfen will [37].
Ein Postulat Hurter (svp, SH) zur internationalen Absatzförderung des Schweizer Weins wurde vom Nationalrat überwiesen. Der Bundesrat wird darin beauftragt, zu prüfen, ob in einer internationalen Werbekampagne des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) nicht nur der Begriff „Schweizer Wein“, sondern auch Namen einzelner regionaler Weinmarken und –produzenten auftauchen könnten [38].
Die Räte überwiesen im Berichtsjahr eine Motion Darbellay (cvp, VS), welche den Bundesrat beauftragt dafür zu sorgen, dass „Petite Arvine“ als traditionelle Bezeichnung für einen Walliser Wein anerkannt wird. Da „Arvine“ und „Petite Arvine“ auch als Bezeichnungen für Rebsorten verwendet werden, war es bisher Produzenten aus anderen Regionen und Ländern möglich, ihre Produkte unter diesem Namen zu verkaufen. Laut Motionär werden jedoch 98% der „Petite Arvine“-Weine im Wallis produziert. Eine repräsentative Umfrage hat zudem ergeben, dass über 80% der Schweizer Bevölkerung das Wallis als Herkunftsort von „Petite Arvine“ nennen und dass ebenfalls 80% denken, die Bezeichnung stehe nicht für eine Rebsorte, sondern für einen Wein. Das Parlament hielt den Schutz der Bezeichnung ausschliesslich für Walliser Weine für gerechtfertigt [39].
Der Ständerat nahm mit 22 zu 8 Stimmen eine Motion seiner Kommission für Rechtsfragen an. Sie fordert darin die obligatorische Aufnahme einer Regelung zum Schutz von geografischen Herkunftsbezeichnungen in allen künftigen Freihandelsabkommen und sonstigen bilateralen Handels- und Wirtschaftsverträgen. Die Motion wurde bis zum Ende des Berichtsjahres noch nicht im Nationalrat thematisiert [40].
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Tierversuche und -schutz
Das im vorigen Jahr vom Bundesrat präsentierte revidierte Tierschutzgesetz wurde von den Räten geringfügig modifiziert und in den Schlussabstimmungen mit 25 zu 15 bzw. 166 zu 16 Stimmen angenommen. Die vorgenommenen Änderungen beziehen sich auf drei inhaltliche Punkte: Erstens wollte die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) des Nationalrates den Schutz von Menschen, Anlagen und Geschäftsgeheimnissen bei Tierversuchen als gesichert wissen. Sie schlug deshalb vor, dass der Bundesrat bei Festlegung der nach Tierversuchen obligatorisch zu veröffentlichenden Informationen durch das BVET jeweils die überwiegenden schutzwürdigen privaten oder öffentlichen Interessen beachten solle. Zweitens wurde die bis anhin auf Verordnungsstufe festgelegte Regelung für die Durchfuhr von Schlachttieren durch die Schweiz gesetzlich verankert: Fortan bedürfen Durchführer von internationalen Tiertransporten einer Bewilligung. Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Schlachtpferde und Schlachtgeflügel dürfen zudem nur im Bahn- oder Luftverkehr durch die Schweiz geführt werden. Drittens haben sich die Räte nach längeren Diskussionen für ein Importverbot von Delfinen und anderen Walartigen (Cetacea) entschieden: Die artgerechte Haltung von solchen Tieren in Zoos und Aquarien sei unmöglich, da sie in freier Natur einen Lebensraum von ungefähr 300 km Durchmesser beanspruchten. Weil sich Delfine und Wale zudem äusserst selten in zoologischer Haltung vermehrten, sei die Haltung von solchen Tieren oft mit Wildfängen verbunden. Mit dem Importverbot soll den aktuell noch drei in der Schweiz lebenden Delfinen Rechnung getragen werden, die durch ein Haltungsverbot vermutlich in andere Länder mit noch weniger angemessenen Haltungsbedingungen abgeschoben würden. Die zukünftige Haltung von Delfinen und anderen Walartigen wird durch das Importverbot jedoch gänzlich unterbunden [41].
Die Ratsdebatte um Delfin- und Walhaltung in der Schweiz hat ihren Ursprung im plötzlichen Verenden zweier Delfine im Tierpark „Connyland“ im Winter 2011, was eine grosse mediale Aufmerksamkeit generiert hatte. Während eine Obduktion der Universität Zürich Schäden einer Antibiotikatherapie als Todesursache identifiziert hatte, gaben sich die Betreiber des Connylands überzeugt, dass die Tiere vergiftet worden seien. Da durch die Gesetzesänderung faktisch nur das Connyland betroffen war, kündigten die Betreiber des Parks ein Referendum gegen das Tierschutzgesetz an. Dieses wurde schliesslich jedoch nicht ergriffen, weil sich keine Partner fanden, die sich finanziell daran beteiligt hätten [42].
Analog zum letztjährigen Nationalratsentscheid und auf Empfehlung seiner vorberatenden Kommission nahm der Ständerat das vom Bundesrat vorgeschlagene Bundesgesetz über den Verkehr mit Tieren und Pflanzen geschützter Arten einstimmig an. Auch die Schlussabstimmungen in den beiden Kammern fielen einstimmig zugunsten des neuen Gesetzes aus. Das 1975 von der Schweiz unterzeichnete internationale Abkommen, welches den Handel mit gefährdeten Spezies von wilder Flora und Fauna regeln soll, ist damit nun auch formell im schweizerischen Gesetz verankert [43].
Der Nationalrat lehnte in der Herbstsession eine Standesinitiative Basel-Stadt gegen den Transport von EU-Schlachttieren auf Schweizer Strassen ab und legte damit die letzte einer ganzen Reihe solcher praktisch identischer Initiativen ad acta. Das in der vorigen Session beschlossene Tierschutzgesetz (siehe oben) beinhalte eine entsprechende und zudem noch ausführlichere Regelung, weshalb eine Annahme dieser Initiativen effektiv einen Rückschritt im Tierschutz darstellen würde [44].
Der Ständerat wies mit Stichentscheid des Präsidenten eine zuvor vom Nationalrat angenommene Motion Teuscher (gps, BE) zurück, welche ein Importverbot von Reptilienleder aus Indonesien sowie die Ausarbeitung von Massnahmen verlangt hätte, um die Einführung von Reptilienhäuten aus tierquälerischer Produktion zu unterbinden. Die Abstimmungsprozedur zur Motion sorgte medial für Furore: Eine Videoaufnahme der Firma „Politnetz“ hatte ergeben, dass die Motion nicht mit 18 zu 18 Stimmen unentschieden ausgefallen war, – wie von den Stimmenzählern deklariert –, sondern mit 19 zu 17 Stimmen eigentlich hätte angenommen werden sollen. Ratspräsident Lombardi liess daraufhin eine zweite Abstimmung durchführen, in welcher erneut Verwirrung über das Stimmenverhältnis entstand. Eine dritte Abstimmung brachte schliesslich Klarheit. Der Wirbel um die Stimmenauszählung von Hand sorgte dafür, dass die Diskussion um eine elektronische Stimmabgabe im Ständerat erneut aufgenommen wurde (vgl. oben, Teil I, 1c) [45].
In Reaktion auf die 2011 von der Fondation Franz Weber überwiesene Petition „Keine Einfuhr von Robbenprodukten in die Schweiz" nahm der Nationalrat eine Motion Freysinger (svp, VS) an, welche das schweizerische Tierschutzgesetz der europäischen Gesetzgebung anpassen und damit sämtlichen Handel mit Robbenprodukten verbieten will. Damit soll verhindert werden, dass die Schweiz als einziges Land in Europa ohne ein entsprechendes Verbot zur Drehscheibe solcher Produkte wird. Da zu jenem Zeitpunkt jedoch gegen die Bestimmung der EU ein Beschwerdeverfahren bei der WTO von Seiten Kanadas und Norwegens am Laufen war, beschloss der Ständerat die Aussetzung der Motion, um die Ergebnisse des Verfahrens abzuwarten [46].
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Die Diskussion, ob Grossraubtiere in der Schweiz zu schützen seien oder ob man sie vielmehr erlegen sollte, weil sie eine Gefahr für den Menschen und dessen Nutztiere darstellten, wurde auch im Berichtsjahr engagiert geführt. Mitte Mai wurde eine Volksinitiative „Für den Schutz der Grossraubtiere (Bär, Wolf und Luchs)“ von einer Genfer Gruppierung um den Politaktivisten Jean Barth lanciert: Die Initianten wollen den Abschuss mit Geldstrafen oder Freiheitsentzug ahnden und den Bund zu verstärkten Schutzmassnahmen verpflichten. Die Initiative überstand die Vorprüfung der Staatskanzlei und befand sich Ende Berichtsjahr im Sammelstadium. Die ähnliche, im vorigen Jahr aufgegleiste Initiative „Wolf, Bär und Luchs“ kam hingegen im September nicht zustande: Sie hatte weniger als die Hälfte des Unterschriftenquorums erreicht [47].
Im November erhielt die Schweiz aus Strassburg einen negativen Bescheid von der Berner Konvention: Die von einer 2010 verabschiedeten Motion geforderte Auflockerung des Artenschutzes bezüglich des Wolfes in der Schweiz und die damit einhergehende Möglichkeit zum Abschuss werde nicht gewährt. Der Motionär Fournier (cvp, VS) verlangte daraufhin den temporären Austritt der Schweiz aus dem Abkommen, wie es auch der Motionstext festgelegt hatte: Bei einem Neueintritt sollte dem Bundesrat die Möglichkeit zu einer Neuaushandlung bezüglich der Schutzstellung des Wolfes gegeben werden. Der definitive Entscheid über einen Austritt stand Ende Berichtsjahr noch aus [48].
Die im vorigen Jahr in die Vernehmlassung geschickte revidierte Jagdverordnung sorgte auch 2012 für Diskussionen. Der Schweizer Tierschutz (STS) reichte im Januar eine Petition mit 10 000 Unterschriften ein, in welcher er die Verordnung als zu wenig tierfreundlich kritisierte: So sei etwa die Baujagd eine unzeitgemässe Praktik, die sowohl bei Jagdhund als auch bei gejagtem Tier grosse Ängste auslöse. Ansonsten drehte sich die Auseinandersetzung vor allem um die grossen Raubtiere: Von Seiten der Tierschützer wurde die Bestimmung verurteilt, dass Tiere wie Wolf oder Luchs in Zukunft nicht nur bei Vieh- oder Kulturland-Schaden, sondern auch bei Schaden am Wildtier zum Abschuss freigegeben werden dürften. Dies sei eine Massnahme, die einzig dem Schutz der Jäger diene. Entgegen dieser Einwände wurde die Jagdverordnung Ende Juni vom Bundesrat wie vorgesehen in Kraft gesetzt. Neu ist darin auch die Passage, dass Kantone sog. Ruhezonen für Wildtiere einrichten können, damit diese nicht durch Freizeit- und Tourismusaktivitäten gestört werden: Gerade im Winter und Frühjahr verlören Tiere durch die Flucht vor Menschen lebenswichtige Energie, was mit den neu eingeführten Ruhezonen verhindert werden soll [49].
Eine Arbeitsgruppe, zusammengesetzt aus Vertretern des Bundesamts für Umwelt (Bafu), Pro Natura, des Jagdverbands Schweiz, WWF und Schafzüchtern hat im Mai nach zwei Jahre dauernden Gesprächen ein Positionspapier zum Umgang mit Grossraubtieren veröffentlicht. Darin bekennen sich die Teilnehmer zur friedlichen Koexistenz zwischen Mensch und frei lebenden Tieren wie Wolf, Luchs und Bär. Zugleich bekräftigen sie aber auch, dass der Abschuss von schadenstiftenden Einzeltieren möglich sein müsse, solange das Überleben des Bestandes gesichert sei. Die Medien kritisierten, dass das Papier nicht viel mehr sei als eine Absichtserklärung, künftig vermehrt das Gespräch zu suchen statt durch Polemik zu polarisieren [50].
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Forstwirtschaft
Die beiden Kammern verabschiedeten im Berichtsjahr die parlamentarische Initiative der ständerätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie zur Flexibilisierung der Waldflächenpolitik, nachdem sie vom Nationalrat nochmals in wenigen Punkten modifiziert worden war. Demnach soll neu ein Verzicht auf den sonst obligatorischen Rodungsersatz in Gebieten mit zunehmender Waldfläche möglich sein, sowie ausnahmsweise auch in anderen Gebieten zwecks Schonung landwirtschaftlichen Kulturlands sowie ökologisch oder landschaftlich wertvoller Gebiete. Ebenfalls kein Ersatz ist nötig bei Gebieten, die innerhalb der letzten 30 Jahre eingewachsen sind und die der Landwirtschaft wieder zugänglich gemacht werden sollen. Eine noch weitergehende Lockerung des Rodungsersatzes, die von einer Minderheit Rösti (svp, BE) zugunsten landwirtschaftlicher Anbauflächen gefordert worden war, wurde von einer Koalition der Mitte-Links-Fraktionen abgelehnt. Erfolgreich war hingegen eine Minderheit Binder (svp, ZH), welche die von der Nationalratskommission vorgeschlagene Klausel, auf Ersatz könne auch zugunsten des Baus von Infrastruktur zur Produktion von erneuerbarer Energie verzichtet werden, bekämpfte: Eine aus allen Lagern zusammengesetzte Ratsmehrheit befand, dass eine so vage Formulierung zu unbeabsichtigten Konsequenzen führen könnte und man die Förderung von Alternativenergien besser im Kontext der Energiepolitik abhandeln solle. Zu einem ähnlichen Thema war zudem eine Motion der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) des Nationalrats hängig.Weiter sollen die Kantone künftig in ihren Richtplänen feste Waldgrenzen verzeichnen können, was eine Verhinderung von Waldzunahme auch ausserhalb von designierten Bauzonen ermöglicht. Hintergrund dieser Diskussionen war die fortschreitende Ausdehnung der Waldfläche in der Schweiz, welche sich zurzeit jährlich auf eine Fläche vergleichbar zu jener des Thunersees beläuft: Da der Wald bei der Bevölkerung laut einer kürzlich durchgeführten, repräsentativen Umfrage einen hohen emotionalen Stellenwert geniesst, gleichzeitig durch seine Ausbreitung aber landwirtschaftliche Nutzflächen verdrängt, wurde nach einer umsichtigen und ausgeglichenen Gesetzgebung verlangt [51].
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Weiterführende Literatur
Amiet, Felix / Krebs, Albert, Bienen Mitteleuropas: Gattungen, Lebensweise, Beobachtung, Bern 2012.
Breitschmid, Christine, Agrarfreihandel Schweiz – EU: Analyse vor dem Hintergrund der Käsemarkt-Liberalisierung, Basel 2012.
Bundesamt für Landwirtschaft (Hg.), Agrarbericht 2012, Bern 2012.
Condrau, Victor et al., Neue Green Care Erholungsangebote in der Landwirtschaft : Ein Projekt im Rahmen der COST Action 866 „Green Care in Agriculture“, Rapperswil 2012.
Forney, Jérémie, Éleveurs laitiers: peuvent-ils survivre?, Lausanne 2012.
Hunziker, Marcel et al., Das Verhältnis der Schweizer Bevölkerung zum Wald: Waldmonitoring soziokulturell WaMos 2, Birmensdorf 2012.
Imhof, Walter, Bär, Wolf und Luchs im Muotatal: Knochenfunde aus Höhlen, Muotatal 2012.
Jan, Pierrick, Economic and environmental performance of Swiss dairy farms in the mountain region, Zürich 2012.
Leitungsgruppe des NFP 59 (Hg.), Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen: Chancen nutzen, Risiken vermeiden, Kompetenzen erhalten: Programmsynthese NFP 59, Bern 2012.
Milic, Thomas / Widmer, Thomas, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 25. November 2012, Bern 2013.
Parolini, Jon, Vom Kahlschlag zum Naturreservat: Geschichte der Waldnutzung im Gebiet des Schweizerischen Nationalparks, Bern 2012.
Schmid, Dierk / Roesch, Andreas, Die wirtschaftliche Entwicklung der schweizerischen Landwirtschaft 2011: Hauptbericht Nr. 35 der zentralen Auswertung von Buchhaltungsdaten (Zeitreihe 2002-2011), Tänikon 2012.
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[1] Mo. 12.3988: AB SR, 2012, S. 1222 f.
[2] Po. 11.3386: AB NR, 2012, S. 674 f.
[3] Po. 11.4157: AB NR, 2012, S. 537; vgl. auch Kt.Iv. 12.318.
[4] Pa.Iv. 08.457: AB NR, 2012, S. 527 und 1721; vgl. SPJ 2010, S. 135.
[5] Po. 12.3684: AB NR, 2012, S. 2254.
[6] Mo. 12.3367: AB NR, 2012, S. 1792; AB SR, 2012, S. 949.
[7] BLW, Agrarbericht 2012, 31.10.12; NZZ und BZ, 17.10.12.
[8]Mo. 12.3990: AB SR, 2012, S. 1192 f. und 1223.
[9] BRG 12.021: AB NR, 2012, S. 1496 ff., 1681 ff., 1697 ff. und 1790.; AB SR 2012, S. 1092 ff., 1173 ff. und 1196 ff.; Medienmitteilungen WAK-NR vom 20.6.12 und WAK-SR vom 16.10.12; NZZ, 30.8. und 14.9.12; TA und NLZ, 20.9.12; SGT, 26.9.12; Presse vom 27.9.12; BZ, 2.10.12; SGT, 26.11.12; NZZ, 7.12.12; SGT, 12.12.12; BZ, 13.12.12; vgl. SPJ 2011, S. 208 f.
[10] Mo. 10.3473, 10.3818, 11.3464 und 12.3014: AB NR, 2012, S. 1715 ff.; AB SR, 2012, S. 121 ff.
[11] Kt.Iv. 12.300: AB NR, 2012, S. 1722.
[12] Mo. 12.3224: AB NR, 2012, S. 1209.
[13] Pa.Iv. 09.469: AB NR, 2012, S. 1370 ff.
[14] Mo. 10.3404: AB NR, 2012, S. 652; Medienmitteilung WAK-SR vom 14.11.12.
[15] NZZ, 21.9.12.
[16] Mo. 11.3924: AB NR, 2012, S. 1021ff.; vgl. SPJ 2011, S. 210.
[17] Mo. 11.3698: AB NR, 2012, S. 1032.
[18] Kt.Iv. 09.306: Kommissionsbericht WAK-S vom 14.11.2012.
[19] Po. 12.3568: AB NR, 2012, S. 1797.
[20] Po. 12.3559: AB NR, 2012, S. 1797.
[21] Bund, 23.5.12; NZZ, 24.5.12.
[22] NZZ, 5.5.12; SGT, 19.5.12; BaZ, 8.8.12; TA, 14.8.12; LM, 28.8.12; SGT, 12.11.12; BZ, 13.11.12.; vgl. SPJ 2011, S. 211.
[23] BZ, 13.11.12.
[24] Mo. 11.3066: AB NR, 2012, S. 387 ff.
[25] Mo. 10.3813: AB NR, 2012, S. 659 f.
[26] Po. 12.3344: AB NR, 2012, S. 1796.
[27] Mo. 12.3665: AB NR, 2012, S.1715 ff.
[28] Kt.Iv. 10.336 und 12.312: AB SR, 2012, S. 1223; AB NR, 2012, S. 1715 ff. ; vgl. SPJ 2010, S. 139; SPJ 2011, S. 207.
[29] BRG 11.059: AB SR, 2012, S. 111 ff. und S. 274; AB NR, 2012, S. 385 f. und S.558; vgl. SPJ 2011, S. 212.
[30] NZZ, 12.4. und 12.10.12; LZ, 23.10.12; SGT, 29.10. und 19.11.12.
[31] Lit. Milic e.a.
[32] Po. 12.3299: AB NR, 2012, S. 1213.
[33] Po. 10.4152: AB NR, 2012, S. 666 f.
[34] NZZ, 4.4. und 7.8.12.
[35] NZZ, 11.8.12; TG, 1.9.12; LT, 8.9.12; 24H, 25.9.12; vgl. Mo. 12.3482.
[36] AZ und NZZ, 29.8.12.
[37] Kt.Iv. 12.313: AB SR, 2012, S. 1243; zur Motion de Buman (cvp, FR), vgl. unten, Teil I, 6d (Allgemeine Umweltpolitik).
[38] Po. 10.3839: AB NR, 2012, S. 660 f.
[39] Mo. 10.4103: AB NR, 2012, S. 663 f.; AB SR, 2012, S. 1051 ff.
[40] Mo. 12.3642: AB SR, 2012, S. 1152 f.
[41] BRG 11.060: AB NR, 2012, S. 375 ff., 695 ff., und 1241; AB SR, 2012, S. 215 ff. und 641; AS, 2012, S. 6279 ff.; Medienmitteilung WBK-NR vom 20.1.12; vgl. SPJ 2011, S. 214.
[42] TA, 24.1.12; NZZ, 15.3. und 30.5.12; SGT, 7.5.12.
[43] BRG 11.058: AB SR, 2012, S. 108 ff. und 274; AB NR, 2012, S. 558; vgl. SPJ 2011, S. 214.
[44] Kt.Iv. 10.334: AB NR, 2012, S. 1785; AB SR, 2011, S. 766; vgl. SPJ 2011, S. 214.
[45] Mo. 10.4104: AB NR, 2012, S. 664 f.
[46] Mo. 11.3635: AB NR, 2012, S. 701 f.; AB SR, 2012, S. 1051; vgl. SPJ 2011, S. 215.
[47] BBl, 2012, S. 5829 ff. und S. 8027; NZZ, 19.6.12; vgl. SPJ 2011, S. 216.
[48] NZZ, 28.11.12; BaZ, 11.12.12; vgl. SPJ 2010, S. 142.
[49] TG, 20.1.12; 24H, 26.1.12; NZZ, 28.6.12; vgl. SPJ 2011, S. 215 f.
[50] Presse vom 9.5.12.
[51] Pa.Iv. 09.474: AB NR, 2012, S. 141 ff. und 553; AB SR, 2012, S. 249 ff. und 270; NZZ, 18.2. und 2.3.12; vgl. SPJ 2011, S. 216.
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